Lohndumping in der Selbstständigkeit: “Zu billige Berufseinsteiger machen den Markt kaputt!”
Katja aus Krasnojarsk nahm mich auf meiner Transsibirienreise bei sich zu Hause auf. Sie hat Übersetzen studiert – genau wie ich. Anders als ich jedoch, hat sie diesem Berufsbild nicht den Rücken gekehrt. Sie arbeitet heute als Übersetzerin und Dolmetscherin in den Sprachen Russisch, Englisch und Türkisch. Türkisch? “Ja, die Sprache hat mich zu der Zeit sehr interessiert, und letztlich hat sich das als ziemlich schlau herausgestellt. Bedarf ist genügend da, und lange war ich sogar fast die einzige Übersetzerin mit Türkischkenntnissen hier in Krasnojarsk.
Aber zurück zu ihrem Berufseinstieg: Gleich nach dem Studium erhielt sie eine Lehrstelle an ihrer Universität. Denn auch Türkisch-Dozenten gibt es nicht ausreichend. “Es hat zwar Spaß gemacht, zu unterrichten, aber auf Dauer war das nichts für mich – ich wollte ja übersetzen. Die Arbeit als festangestellte Dozentin war also eher das notwendige Übel, um ohne zu große Geldsorgen erste Arbeitserfahrung zu sammeln und mir nebenbei einen Kundenstamm aufzubauen.” Sie verlor ihre Ziel nicht aus den Augen, sondern arbeitete weiter darauf hin, sich als Übersetzerin einen Namen zu machen.
Ein paar Jahre später war ihr der Sprung in die Selbstständigkeit gelungen.
“Ich bilde meine eigene Konkurrenz aus”
“Ich bereue die Zeit als Dozentin nicht, ich habe hier viel mitnehmen können. Interessant ist aber: Ich habe meine eigene Konkurrenz ausgebildet. Mittlerweile sind einige meiner Absolventen so weit, dass sie selbst Aufträge suchen, zum Teil auch schon mit Erfolg – ich bin jetzt nicht mehr alleine im Revier. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, aber ich gönne ihnen das natürlich. Das Bewusstsein, dass man gerade in der Selbstständigkeit ein Miteinander statt Gegeneinander anstreben muss, finde ich extrem wichtig. Wenn einer meiner Absolventen richtig gute Arbeit macht, empfehle ich ihn oder sie natürlich auch gerne weiter.
Womit ich aber keinen Spaß verstehe – und das habe ich meinen Studenten auch immer vermittelt – ist Lohndumping. Wenn mich Kunden, mit denen ich schon jahrelang sehr gut zusammenarbeite, anrufen und sagen: ‘Ich weiß, du berechnest eigentlich 500 Rubel Pro Seite, aber jetzt haben wir da aber jemanden, der macht es auch für 100 – du musst noch etwas am Preis machen’ – das geht nicht! Ich kann doch nicht dieselbe Arbeit wie letzten Monat machen und plötzlich nur noch ein Bruchteil davon verdienen! Wie stellen die sich das vor, das alles auch noch bei stetig steigenden Lebenshaltungskosten?”
Lohndumping, um als Berufseinsteiger einen Fuß in die Tür zu kriegen? Keine gute Idee! Click To TweetEtwas niedrigere Preise beim Berufseinstieg sind okay
“Ich kann die Ausgangssituation natürlich schon irgendwo verstehen. Man kommt aus der Uni und möchte endlich unabhängig sein, sein eigenes Geld verdienen und Arbeitserfahrung sammeln. Den Mangel an Referenzen und Erfahrung kann man durchaus auch mit etwas niedrigeren Preisen ausgleichen. Dabei sollte der Kunde sich einfach dessen bewusst sein, dass ein “teurer” Übersetzer mit viel Erfahrung und guten Referenzen möglicherweise eine andere Leistung erbringt, als ein “günstiger” Anfänger, der zwar die Theorie beherrscht, aber in der Praxis noch ein wenig lernen muss. Das entwickelt sich ja alles noch.
Mit den Referenzen kommen die Kunden, und mit ausreichend Kunden kommt der Moment, wo man seine Aufträge und Kunden auswählen und seine Leistung entsprechend bepreisen kann.”
Kein Spaß: Lohndumping
“Was ich sagen will ist: leichte Preisschwankungen, die die Qualität oder zumindest das “Risiko” des Auftrags abbilden, sind in Ordnung. Aber alles hat seine Grenzen. Berufseinsteiger, die Lohndumping betreiben, fügen einerseits sich selbst und andererseits den anderen Wettbewerbern auf dem Markt Schaden zu.
Nun, wenn es nur einer macht, schadet derjenige erst mal nur seiner Reputation. Der Kunde fragt sich: Was stimmt mit dem Anbieter nicht, dass seine Preise so weit unter dem Durchschnitt sind? Das kann nichts anderes als schlechte Qualität bedeuten.
Richtig problematisch wird es aber, wenn mehrere Anbieter ihre Leistung weit unter den adäquaten Preisen anbieten. Das macht schlichtweg den Markt kaputt; es ist unkollegial und gefährlich. Wir können unsere Arbeit nicht zum Spottpreis anbieten – sonst können wir weder unseren Job anständig machen noch ordentlich davon leben.”
Lohndumping ist unkollegial, gefährlich und schadet dem ganzen Markt. Click To Tweet
Was hältst du von Lohndumping in der Selbstständigkeit?
Hast du selbst schon mal ähnliche Erfahrungen gemacht? Hast du eine Idee, wie man dieses Problem angehen könnte? Die Agentur Zulu Alpha Kilo hat neulich in ihrem Video auf ein anderes, aber ähnlich prekäres Thema aufmerksam gemacht: das kostenlose Präsentieren von Ideen und Konzepten, ohne zu wissen, ob die Leistung später bezahlt wird.
Könnte das Sensibilisieren auf ähnliche Art und Weise hierfür etwas bewirken?
Ich finde, das ist tatsächlich ein wichtiges Thema! Vielleicht betrifft es aber nicht nur Absolventen, sondern generell einen Markt. In meiner Branche – Architektur – ist es so, dass Berufseinsteiger nicht mehr fest angestellt werden, sondern nur als Pseudo-Freiberufler einen Job finden. Die ganze Geschichte ist meistens halb illegal und zudem beträgt der Stundenlohn teilweise gerade mal 10€. Also 10€ die Stunde, von denen man selbst noch die Einkommensteuer, Krankenversicherung, Rücklagen, Rentenversicherung etc. bezahlen muss, weil man ja nicht angestellt ist, sondern (offiziell) selbständig.
Ich finde dieses Konzept grauenhaft und war auch lange Zeit der Meinung, dass die ganzen Architekten dann eben solche Jobs einfach nicht annehmen sollten: wenn keiner mitmacht, wird sich was ändern. Aber mal ehrlich: bevor man keinen Job hat, nimmt man lieber einen schlecht bezahlten. Das ist schade und macht auch unseren Markt kaputt, aber ich kanns schon irgendwie verstehen…