Wir müssen dort Druck machen wo die Entscheidungen getroffen werden

Delara Burkhardt ist Kandidatin der SPD für die Europawahl. Als heute 26-Jährige ist sie schon immer in und mit der EU aufgewachsen.

“Die EU war irgendwie immer da. Und selbst, wenn es mal Probleme gab, irgendwie ging es immer voran. Diese Gewissheit ist vorbei.”

Es gibt so einige Gewissheiten mit denen es vorbei ist. Es ist zum Beispiel nicht mehr gewiss, ob unsere Rente mal zum Überleben ausreichen wird. Oder ob unser Planet dann überhaupt noch für Menschen bewohnbar ist.

Es ist nicht mehr gewiss, dass junge Menschen es einmal besser haben werden als ihre Eltern – das Gegenteil ist der Fall. Junge Menschen zählen heute zu den Menschen in Europa, die am stärksten von Armut bedroht sind: fast ein Drittel der jungen Menschen in Europa (28%) sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdet. Jede/r zehnte (11%) sogar trotz Vollzeitjob.

Und obwohl politische Entscheidungen junge Menschen massiv betreffen, sind sie in der “Entscheider”-Ebene massiv unterrepräsentiert. Sie können nicht ausreichend mitbestimmen wenn es darum geht, die drängenden Fragen unserer Zeit anzugehen.

Ich habe mit Delara Burkhardt über ihr politisches Engagement gesprochen und wollte wissen: Sind “wir Jungen” selber Schuld? Wie können sich junge Menschen stärker in die Politik einbringen? Und wie macht man bitte eigentlich überhaupt Politik?

Delara Burkhardt SPD

“Junge Menschen sind nämlich nicht politikverdrossen. Wenn sich eine ganze Generation zu wenig von der Mitarbeit in Parteien angesprochen fühlt, dann müssen die Parteien an sich arbeiten.” – Delara Burkhardt, Europa-Kandidatin der SPD

 

Delara, du kandidierst mit 26 um einen Sitz im Europaparlament. Wie bist du zur Politik gekommen? Wie hat es angefangen und wie sieht dein Engagement heute konkret aus?

2008 gab es in Schleswig-Holstein im ganzen Land Schulstreiks, weil die schwarz-gelbe Landesregierung die Zeit bis zum Abitur von neun auf acht Jahre verkürzt hat. Ich fand es nicht richtig, dass diese Entscheidung, die so große Auswirkung auf unsere Zukunft haben sollte, über die Köpfe von uns Schülerinnen und Schülern hinweg getroffen wurde. Da wurde für mich deutlich, dass man für Veränderung auch Verantwortung übernehmen und selbst mit anpacken muss. So funktioniert eine Demokratie. Deshalb entschloss ich mich, einer Partei beizutreten. Da war ich 15 Jahre alt.

Wie @delarabur zur Politik gekommen ist? Empörung über die Tatsache, dass Entscheidung über die Zukunft junger Menschen über unsere Köpfe hinweg getroffen werden. Click To Tweet

Nachdem ich mich mit den Programmen verschiedener Parteien auseinandergesetzt hatte, habe ich mich entschieden, der SPD beizutreten – genauer gesagt deren Jugendorganisation: den Jusos. und bin dann auf verschiedenen Ebenen aktiv geworden. Heute bin ich eine von acht stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jusos und dort für die Themen Internationales und Gleichstellung zuständig. Besonders wichtig war mir dabei immer die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Verbänden. Durch die internationale Arbeit der Jusos habe ich außerdem viele Eindrücke in Europa, aber auch darüber hinaus gesammelt. Ich habe unter anderem Projekte im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Nordafrika verantwortet. Ich habe gesehen, was funktioniert, und ich habe auch gesehen, wo wir dringend Veränderungen brauchen.

Sich neben dem Job ehrenamtlich oder politisch zu engagieren kann sehr anstrengend sein. Welche Herausforderungen ergeben sich für dich in der Praxis? Wie lässt sich das trotzdem unter einen Hut bringen?

Ich denke, man muss lernen, auch mal nein zu sagen. Wenn man es darauf anlegt, kann man jeden Abend auf vielen Veranstaltungen sein und in vielen unterschiedlichen Gremien mitarbeiten. Mir war es immer wichtig, neben meinem politischen Engagement das Studium nicht zu vernachlässigen und den Aufgaben, die ich übernahm auch gerecht zu werden. Deshalb habe ich immer, wenn ich etwas Neues angefangen habe, andere Ämter abgegeben. Das ist manchmal schade, weil es so viele spannende Dinge gibt, bei denen man sich einbringen kann. Aber es ist eben auch wichtig, mal Luft für andere Dinge zu haben. Mir hat außerdem geholfen, dass ich mit Beginn meines Studiums ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten habe. Das hat mir Freiräume für ehrenamtliches Engagement im Studium ermöglicht. Ansonsten hätte ich das in diesem Maße nicht durchziehen können.

Unter 30-Jährige machen nur 2% der Abgeordneten in Europa aus – wie können junge Menschen besser in der Politik repräsentiert werden?

In meinem Engagement habe ich gemerkt, dass „Vorbilder“ super wichtig sind. Als ich zu den Jusos kam, war ich beispielsweise die einzige Frau in meinem Kreisverband. Das hat sich zum Glück geändert. Ich bin froh, viele andere Frauen für die Mitarbeit bei den Jusos und in der SPD gewinnen zu können.

Aber junge Menschen und Frauen sind noch zu wenig in den Strukturen politischer Parteien repräsentiert, und die Parteien stehen in der Pflicht, sich dieses Problem bewusst zu machen. Wenn sich eine ganze Generation zu wenig von der Mitarbeit in Parteien angesprochen fühlt, dann müssen die Parteien an sich arbeiten. Junge Menschen sind nämlich nicht politikverdrossen.

Junge Menschen sind nicht politikverdrossen - das Interesse ist so groß wie lange nicht mehr, so @delarabur. Wenn sich eine ganze Generation nicht angesprochen fühlt, müssen die Parteien an sich arbeiten. Click To Tweet

Im Gegenteil, das Interesse ist so groß wie schon lange nicht mehr. Ein gutes Beispiel dafür sind doch die zahlreichen Jugendlichen, die derzeit in ganz Europa für Klimaschutz auf die Straße gehen. Parteien müssen deshalb wieder ein attraktiver Ort werden, um Politik zu gestalten! Die Jugendquote ist zum Beispiel ein Instrument, das immer wieder diskutiert wird, um der Missrepräsentanz junger Menschen in den Parlamenten und in der Politik entgegenzuwirken. Die macht für mich aber nur Sinn, wenn es eben auch die Jugendorganisationen sind, die diese Plätze besetzen dürfen. Ansonsten entscheiden wieder Ältere darüber, wer die Jugend vertreten soll. Fürs erste wäre aber schon mal eine Selbstverpflichtung für vielfältigere Listen ein erster Schritt.

Eine Jugendquote macht nur Sinn, wenn es auch die Jugendorganisationen sind, die die Plätze besetzen dürfen. Ansonsten entscheiden Ältere darüber, wer die Jugend vertreten soll, sagt @delarabur Click To Tweet

Was macht deine Partei, um junge Menschen besser einzubinden und ihre Interessen zu repräsentieren?

Ein starkes Signal der SPD war es, mich als Kandidatin der Jusos auf einen aussichtsreichen Platz für die Europawahl zu setzen. In der SPD gibt es Nachwuchsförderungsprogramme, in denen junge Menschen die Möglichkeit bekommen, sich für die politische Arbeit zu wappnen und Einblicke zu bekommen. Ich finde es außerdem wichtig, darüber zu sprechen, wie wir die alltägliche Parteiarbeit attraktiver gestalten können. Man wird ja meistens über politische Themen politisiert.

Es muss Räume geben, in denen man neben administrativen Dingen auch mal über den Tellerrand gucken und diese aktuellen politischen Themen diskutieren kann. Außerdem sollte es leichter werden, sich aktiv einzubringen und mitzugestalten – ohne dass man dafür gleich in einer politischen Funktion sein muss.

Viele junge Menschen interessieren sich verstärkt für Politik – aber dieses Interesse kommt in der (Partei-)Politik oft nicht an. Woran liegt das, warum ist das ein Problem, und wie kann es angegangen werden?

Das ist ein Kommunikationsproblem – von beiden Seiten. Gerade die Bewegung Fridays For Future, aber auch die Gegenmobilisierung zu den geplanten Uploadfiltern in der Debatte um die Urheberschutzreform zeigen, dass ein verstärktes Bewusstsein in unserer Generation erwacht, dass (Europäische) Politik einen enormen Einfluss hat auf die Frage: wie wird unsere Zukunft gestaltet?

Ein gutes Zeichen ist, das sich die jungen Protestbewegungen vor die Parlamente und Ministerien bewegen. Also ein großes Bewusstsein dafür herrscht, das dort diese Entscheidungen getroffen werden. Ich appelliere immer, den Kontakt zur (Partei)politik zu suchen, wenn man möchte, dass das Anliegen gehört wird. Druck machen – dort, wo die Entscheidungen getroffen werden. Gleichzeitig muss auch die Politik viel offener auf solche Jugendbewegungen zugehen, zuhören und das Anliegen ernst nehmen. Ansonsten bleibt die Lebensrealität junger Menschen im politischen Prozess ungehört.

Welche Tipps hättest du für junge Menschen, die sich politisch engagieren möchten, aber nicht wissen wie oder wo sie anfangen sollen?

Überleg dir, welche Themen dir am Herzen liegen und womit du dich einbringen möchtest. Man ist nie zu 100% einer Meinung mit dem Programm einer Partei, aber das Spannende ist: Man kann dafür sorgen, dass sich Programme weiterentwickeln! Nutze diese Chance und suche dir Verbündete, die mit dir für Veränderung und deine Ideen streiten.

Wenn du deinem 5 oder 10 Jahre jüngeren Ich einen Tipp geben könntest (in Bezug auf politisches Engagement) – was wäre das?

Vielleicht wäre es genau das: Sei kreativ und sei mutig für Veränderung einzustehen! Auch wenn Leute, die deine Eltern oder Großeltern sein könnten dir sagen, dass dieses und jenes nicht geht, weil es schon immer so gemacht wurde – lass dich davon nicht unterbuttern, sondern nutze deine Stimme und zeige, dass es eben doch anders geht!

Liebe Delara, vielen Dank für das spannende Interview und viel Erfolg für die Wahl am 26. Mai!

 


Und Du, liebe Leserin und lieber Leser? Bist Du startklar für die Europawahl am 26. Mai?

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