“Das Richtige studieren” – habe ich das Falsche gelernt?

Die brotlose Kunst

Dass ich als Geisteswissenschaftlerin nicht alleine mit meinem Bewerbungsfrust dastehe (bzw. vor dem Jackpot mit der Elternzeitvertretung dastand), ist kein Geheimnis. Auch Vanessa müht sich damit ab, jeden Absagen-Fausthieb stolz und aufrecht zu ertragen und sich dabei Motivation sowie Selbstvertrauen zu erhalten.

Unsere unrühmlich hohen Scores aus fehlgeschlagenen Bewerbungen? Sicher ein zweifelhafter Erfolg, aber ganz bestimmt keine Seltenheit. Immer mehr beginnt man, sich selbst, seine Qualifikation und Eignung in Frage zu stellen. “Was stimmt nicht mit mir?”

Die ganzen Bewerbungstipps, Selbstoptimierungsratschläge und Superheld/Allein-erziehende-Mutter-Ratgeber helfen da natürlich auch nur bedingt. Klar, eine gute Bewerbung und erste Arbeitserfahrung durch Praktika oder Ähnliches müssen schon sein. Ein Garant für Erfolg ist das aber leider beiweitem nicht.

Der Druck wird mit jeder Absage größer: man muss besser werden! Sich neben meinem abgeschlossenen Hochschulstudium noch diese und jene Kompetenzen und Qualifikationen zulegen, nebenbei HTML lernen und einen Kurs in Mandarin belegen. Alles für sein Alleinstellungsmerkmal, versteht sich. Damit man eventuell vielleicht die Chance hat, eine halbe Nasenspitze vorne zu liegen. Und trotzdem kommt da immer irgendein Wunderkind daher, das das alles schon in der achten Klasse abgehakt hat und gerade nebenbei seine Doktorarbeit schreibt. Ähem.

Under pressure

Der Druck hat sich mittlerweile so weit aufgebaut, dass man nicht mehr nur seine Kompetenz in Frage stellt, sondern seinen gesamten bisherigen Werdegang.

Während man selber sich die ganze Zeit abmüht, wird nämlich die Freundin, die BWL, Informatik, Ingenieurwesen oder [hier Platzhalter einfügen für alles, was keine brotlose Kunst ist] studiert hat, einfach mal bei der ersten Bewerbung mit Kusshand eingestellt. Mit einem so hohen Gehalt, dass einem die Ohren schlackern und die Socken von der Ferse rutschen.

“Siehst du, DIE hat’s richtig gemacht!”, sagen auch all diejenigen, die mit guten Ratschlägen sowieso nie geizen. Einfach was Anständiges lernen, einfach das Richtige studieren muss man. Der Rest geht von alleine. Weil: Fachkräftemangel und so.

Während ich noch über das “einfach” lache (es ist ein hysterisches, an Wahnwitz grenzendes Lachen), kommt bei all dem Selbstzweifel doch irgendwann die nüchterne Erkenntnis:

Was “das Richtige studieren” heißt, bestimmst immer noch du!

Ich KANN nämlich nicht das lernen, was mir die besten Berufschancen verspricht. Was das heißt, “das Richtige studieren”, ja, das hängt eben nicht nur vom Arbeitsmarkt ab, sondern davon, wie man selber gestrickt ist. Die persönlichen Interessen und Talente kann man sich eben nicht beliebig aussuchen. Sie sind einfach da. Gekommen, um zu bleiben.

Hätte ich ein Informatik- oder BWL-Studium begonnen, hätte ich es höchstwahrscheinlich nicht abgeschlossen – und das bringt erst recht keinem was.

Was man nun aber sehr wohl tun kann, ist ab und zu mal halb-rechts abbiegen, obwohl man eigentlich geradeaus wollte. Und das kann bei jedem anders aussehen: ein themenverwandtes, aber eben doch anderes Masterstudium dranhängen; sich nach ähnlichen, aber eben doch anderen Jobs umsehen; oder es auf eigene Faust versuchen, wie z.B. Julia.

Durchhängen, die Welt verfluchen, verzweifeln, sich umentscheiden – das ist alles gut und okay.

Nur aufgeben darf man nicht. Es tut sich immer irgendwo ein Türchen auf, und wenn es dafür öfter mal halb-rechts, halb-links oder im Kreis geht, statt geradeaus.

Wie geht’s dir mit deiner Wahl?

Hast du gleich beim ersten Versuch alles getroffen? Oder hast du das Gefühl, du hast das Falsche gelernt?
Wie gehst du damit um?

 

6 Discussions on
““Das Richtige studieren” – habe ich das Falsche gelernt?”
  • “Ich KANN nämlich nicht das lernen, was mir die besten Berufschancen verspricht. Was das heißt, „das Richtige studieren“, ja, das hängt eben nicht nur vom Arbeitsmarkt ab, sondern davon, wie man selber gestrickt ist. Die persönlichen Interessen und Talente kann man sich eben nicht beliebig aussuchen. Sie sind einfach da. Gekommen, um zu bleiben.”

    Genauso sehe ich das auch. Ich werfe mir nie vor, das Falsche studiert zu haben, im Gegenteil. Ich habe noch etwas verhältnismäßig Gehaltvolles studiert, wenn ich mir meine anderen Alternativen ansehe, die ich gerne gemacht hätte (Kunst, Musik oder Philosophie – haha). Freundinnen, die BWL studiert haben, beneide ich um ihre Jobs nicht eine Sekunde. Sorry, but not sorry. Das wäre alles nichts für mich, wenn die mir berichten, wie es in ihren Firmen zugeht. (Sie finden es natürlich supertoll.)

    • Amen!
      Besagte Freundin wurde in einem anderen Bewerbungsgespräch darauf hingewiesen, dass sie in dem Job nicht zu schwach sein darf, auch Leute am laufenden Band zu feuern: “Und wenn sie gerade vom Mann verlassen wurde und drei Kinder zu ernähren haben – da dürfen Sie nicht mitleidig werden!” Den Job hat sie dann auch entsprechend nicht genommen.
      Ich würde meinen Weg auch nicht eintauschen.

  • Wenn ich heute mein 19-jähriges Ich treffen würde, würde ich ihm auch raten, was “Richtiges” zu studieren (auch wenn ich immer noch nicht so genau weiß, was das sein sollte …)Ich musste nämlich feststellen, dass die Jobs, die man bekommt, gerne auch mal ziemlich anspruchslos sind. Wirkliche Granaten gibt’s halt nur wenige für ein paar Überflieger, Und, ja, schlecht bezahlt ist mein Beruf auch (Verkäuferinnen bekommen zum Teil mehr als ich – so viel zu “Akademiker verdienen mehr” – pfff).

    • Ja gut das stimmt schon: ein akademischer Abschluss ist keine Garantie für nix.
      Andererseits hätte mir auch ein Studienabbruch in “was Richtigem” nicht viel mehr gebracht.

  • Also was “das Richtige” ist, bestimmt wirklich jeder für sich! Als Modedesignerin hatte ich mich während der Ausbildung diesen Fragen von Fachfremden auch oft entgegen stellen müssen. Gerade diese Nummer mit “brotloser Kunst” kam oft auf den Tisch. Ich hatte glücklicherweise immer meine Eltern im Hintergrund, die mich in meiner Leidenschaft unterstützt hatten und mir Mut gemacht haben, egal wie steinig der Weg manchmal war.
    Doch es hat sich gezeigt dass wenn man mit Leidenschaft und Ehrgeiz an seinen Traumberuf herantritt dann ist auch der Atem länger, egal wieviele Schwierigkeiten sich einem in den Weg stellen.
    Etwas zu studieren nur weil Andere es scheinbar besser wissen, halte ich genau wie Christina, nicht für sinnvoll, denn am Ende schmeißt man dann hin und hat doch nichts gewonnen.

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