Tipps im Internet sind wie ein China-Buffet
Seit längerem denke ich über die Sache mit den endlosen besserwisserischen Tipps im Internet nach. Aus jeder Pore des Internet triefen sie. Einige sind liebloser Blödsinn, andere wirklich hilfreich. Und wie überall im Internet ist man nie davor gefeit, einen rekordverdächtig heftigen Schlag in die Neidgrube zu bekommen, wenn LinkedIn einem mal wieder sagt, wie viel weiter es die ehemaligen Kommilitonen und Kollegen bereits im Leben gebracht haben. Da guckste.
Konsistent sind diese Tipps natürlich auch nicht. Klar, wenn unterschiedliche Menschen ihre unterschiedlichen Erfahrungen aufschreiben, sagt eben auch jeder etwas anderes, manchmal so, manchmal so. Ganz abgesehen davon stimmen auch nicht alle Tipps im Internet-Dschungel, bzw. sind für jeden das Richtige – eine Aussage, die so trivial wie wahr ist.
Durchblick, bitte?
Wie soll ich als Leser da noch durchblicken, bzw. erkennen, inwieweit dieser oder jener Tipp jetzt für mich relevant ist? Zum Beispiel diese Ratschläge zum Bewerbungsgespräch: “Bei der Begrüßung und Verabschiedung die Hand fest, aber nicht zu fest drücken. Konzentration auf den Blickkontakt zum Gesprächspartner, aber bloß nicht anstarren! Lächeln, aber bitte nicht zu fröhlich!” … Hallo?! Wie soll ich mich da noch auf das eigentliche Gespräch konzentrieren?
Den letzten Schubser, diesen Artikel aus meinem verstaubten Entwürfe-Ordner rauszuholen, gab mir Regine Glaß mit ihrem Artikel zu besagtem Thema, in dem sie sagt: Sind ja schön und gut, diese Tipps zu ausnahmslos jedem optimierbaren Aspekt meines Lebens, aber erst mal muss ich bitteschön meine Miete zahlen können, meine Freunde sehen und nicht depressiv werden, wenn angeblich alle alles besser können als ich.
“Die Frage ist doch, was möchte ich ganz persönlich erfahren und was brauche ich? Ganz egoistisch gesprochen: Ich möchte wissen, wie ich meine Miete zahlen, eine Tätigkeit als freie Redakteurin planen kann und trotzdem noch Platz für meine kreativen Leidenschaften, Privatleben und produktives gesellschaftliches Engagement finde. Dabei können einzelne Beiträge helfen. Aber in der Theorie weiß ich es doch längst.”
Warum lesen wir (ich nehme mich da nicht aus) solche Artikel trotzdem am laufenden Band?
Von den Erfahrungen anderer lernen, statt sich optimieren
Ich glaube, der Unterschied liegt in der Art und Weise, wie diese Tipps transportiert werden und wie ich sie aufnehme. Als Leserin möchte ich nicht optimiert werden. Um Gottes willen, nein. Was ich aber möchte, ist erfahren, wie andere, deren Artikel ich auch sonst gerne lese, ein bestimmtes Problem gelöst haben. Ich frage auf der Straße ja auch nicht jeden x-beliebigen, was denn jetzt sein Senf zu diesem oder jenem (meine Existenz betreffendem) Thema ist. Ich frage nur Leute, denen ich vertraue. Und auch dann nehme ich nicht alles für bahre Münze.
Es will gut überlegt sein, ob bestimmte Tipps in meiner spezifischen Situation anwendbar sind oder nicht. Ich persönlich finde Tipps hilfreich, sehr sogar. Warum muss ich das Rad neu erfinden, von neuem auf die Nase fallen oder mir die Zähne an etwas ausbeißen, wenn ich mich auch mit anderen darüber austauschen und aus ihren Erfahrungen und Fehlern lernen kann? Bezugspersonen sind für mich im Berufseinstieg enorm wichtig. Ich brauche Verbündete, denen ich auch mal doofe Fragen stellen kann, und für deren Erfahrungen ich enorm dankbar bin. Das heißt aber nicht, dass ich alles kopieren und auf-Teufel-komm-raus auf die selbe Weise optimieren muss. Ich entscheide selbst, was mir helfen könnte. Genauso verhält es sich mit den Verbündeten im Internet, die ihre Erfahrungen mit der Welt teilen.
Nur wenn sich meine Probleme mit denen des Autors decken, besteht für mich ein Mehrwert.
Tipps sind Lösungsvorschläge für ganz bestimmte Probleme. Dass sie nicht für jeden gleich anwendbar sind, liegt auf der Hand, denn jeder startet mit seinen eigenen, ganz unterschiedlichen Problemen.
Ich persönlich finde es hilfreich, wenn man mir die Lösungsvorschläge nicht nur abstrakt beschreibt und vorschreibt. Sondern jeweils die persönliche Erfahrung des Autors oder der Autorin schildert. Was war deren Ausgangssituation, womit hatten dabei am meisten zu kämpfen? Nur wenn sich meine Probleme mit denen des Autors decken, besteht für mich ein Mehrwert. Dann merke ich möglicherweise beim Lesen, dass ich nicht alleine damit dastehe, wenn ich mich um 17 Uhr frage, wo eigentlich der Tag (und die versprochene Produktivität) abgeblieben ist. Alles andere, was mich nicht betrifft, muss ich radikal ausblenden, sonst werde ich verrückt.
Autorin Rebecca Niazi-Shahabi, geht sogar einen Schritt weiter und fordert die absolute Verweigerung in Bezug auf solche Tipps:
“Wir lesen jeden Tag darüber, welcher Weg zum Traumkörper und Traumjob nun wahlweise der beste, leichteste oder klügste ist. Schluss damit! Ich bin nicht perfekt – und ich arbeite auch nicht daran! […] Denn wenn ich mich weigere, mache ich aus der allseits propagierten Selbstverwirklichung wieder das, was sie sein sollte: eine Möglichkeit.”
Das stimmt. Jeder Tipp und Ratschlag ist eine Möglichkeit. Alle kann ich nicht wahrnehmen, es geht nicht. So wie ich auch nicht immer alles aufessen kann, was mir Leckeres präsentiert wird. Alle guten Dinge sind in Maßen zu genießen. Denn:
Tipps im Internet sind wie ein China-Buffet. Man sollte sich nicht überfressen. Click To TweetAuf den ersten Blick sieht alles geil, sättigend und befriedigend aus. Doch ganz ganz schnell überfrisst man sich. Und dann? Kommt nicht mehr klar. Im besten Fall ist es mit dem Öffnen des Jeans-Knopfes getan. Doch was ist mit dem Gefühl der Schuld? Dass man sich nicht so beherrscht hat, wie die schlanke Dame am Nebentisch. Dass man nicht mit unter 30 schon so erfolgreich ist, wie scheinbar ALLE da draußen. Dass man es noch nicht mal schafft, weniger Plastik einzukaufen, geschweige denn sich leckere, gesunde und glutenfreie Gerichte für die Arbeitswoche vorzukochen.
Zwischen Motivation und Verunsicherung liegt nur ein Klick. Und der liegt im Kopf. Click To TweetWie wählt man jetzt aus und entscheidet, welche Tipps gut für einen sind, und welche nicht? Schwierig zu sagen. Vielleicht schreibe ich ja demnächst eine Liste mit 7 Tipps dafür.
#IronyOff
Wie machst du es?
Komplettverweigerer oder Tipps-Verschlinger? Fühlst du dich ähnlich überwältigt oder selektierst du gleich beim Lesen aus, was für dich relevant und hilfreich ist? Diskutiere mit uns in den Kommentaren.
Hallo und danke fürs Erwähnen (meines Beitrags zum Thema).
Interessante Diskussion – viel Spaß dabei. Und viel Erfolg beim weiteren beruflichen und privaten Durchstarten!
Beste Grüße,
Christoph Burger
Sehr gerne und ebenfalls vielen Dank 🙂
Gruß,
Christina Wunder
Das eigentlich schwierige an der ganzen “7-Tipps, wie Sie…” Thematik ist doch eigentlich, dass es sich bei gefühlten 90% aller Inhalte um belanglose, aneinander gereite Auflistungen von allgemein bekannten Bilnsenweisheiten handelt. Es gab da bereits “Tipps”-Artikel zur Fragestellung wie man sich das Standing im Büro runiniert, die mit “Doofe Fehler” beantwortet wurden. Na herzlichen Dank. Da fällt mir dann auch nichts mehr zu ein… 🙂 Das Ganze hat stellenweise dermaßen absurde Ausmaße angenommen, dass ich auf meinem Blog diesem Thema einen, zugegebener Maßen sehr gehässigen, Artikel gewidmet habe.
Um bei dem China-Buffet-Beispiel zu bleiben: Bevor ich mir genau das nehmen kann was für mich passt muss ich mich leider erst durch kiloweise verdorbene, ungenießbare Lebenmittel wühlen. Dabei vergeht mir dann jedweder Appetit
Gruß,
Felix
Hallo Felix, da stimme ich dir zu. Ich bin auch sehr kritisch, wenn etwas als “doofer Fehler” abgestempelt oder als “goldrichtig” angepriesen wird. Dabei wird komplett außer acht gelassen, dass für unterschiedliche Menschen in unterschiedliche Situationen jeweils unterschiedliche “Tipps” hilfreich sind.
Haha, ich mag deinen Vergleich mit den ungenießbaren Lebensmitteln. Dafür sind unsere ganzen Blogs doch da, damit man nach der einen oder anderen Erfahrung sagen kann: das habe ich probiert, und es hat ziemlich scheiße geschmeckt – oder eben auch umgekehrt 🙂